Inspirierende Erfolgsgeschichten aus den Regionen mit Ressourcen

Susanne Görsch

Was hat Sie dazu inspiriert, die Firma zu gründen und wann entwickelte sich die Idee, selbstständig sein zu wollen?

Ich hatte nie den Gedanken, mich selbstständig zu machen oder selbstständig sein zu wollen. Es ist einfach passiert. Wobei, so einfach war es dann doch nicht. Es begann 2012 als ich aus Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen bin. Mein damaliger Mann kam aus MV. 2015 erkrankte meine Schwiegermutter, die das Lebensmittelgeschäft nach der Wende von der Konsum-Gesellschaft abgekauft und bis dahin geleitet hatte. Im Oktober ist meine Schiegermutter zusammengebrochen, so dass sie gar nicht mehr im Geschäft arbeiten konnte. Ich war 2015 mit meinem zweiten Kind in Elternzeit und konnte dadurch die zwei Angestellten im Laden meiner Schwiegermutter unterstützen. Im Februar 2016 war die Elternzeit vorbei und ich wurde Angestellte im Geschäft. Ende Juni bat mich meine Schwiegermutter, das Geschäft zu übernehmen.
Wir haben uns als Familien zusammengesetzt, uns beraten und entschieden, es zu machen. Im Juli starb meine Schwiegermutter. Nun stand ich da… mit einem Lebensmittelgeschäft, mit Fleischtheke, Blumenbereich, Post und Lotto-Annahmestelle. Mein Mann ist LKW-Fahrer, somit war ich unter der Woche allein(erziehend) mit zwei kleinen Kindern und einem dritten Baby – das Geschäft.
Auch wenn es anfänglich sehr schwer war, viel Zeit, Kraft und Nerven gekostet hat, habe ich mit der Zeit Gefallen an meiner Tätigkeit gefunden. Jetzt ist es meine Leidenschaft. Ich habe wunderbare Menschen kennengelernt, sehr viel Unterstützung und Zuspruch von Kunden und Freunden erhalten.

Welche Unternehmensform haben Sie gewählt und worin besteht das Aufgabenfeld?

Ich habe ein Gewerbe im Einzelhandel angemeldet. Mein Lebensmittelmarkt, zu dem eine Fleisch- und Wurstwaren Frischetheke, eine Poststelle, ein Blumenverkaufsstand sowie eine Lotto-Annahmestelle gehören, ist von montags bis freitags von 7-12 Uhr und von 15-18 Uhr sowie samstags von 7.30-11.00 Uhr geöffnet.

Was waren Ihre größten Ängste und Bedenken bei dem Gedanken an Ihre Unternehmensnachfolge?

Ich hatte Angst, dass ich irgendwann vor einem riesigen Berg Schulden stehe und nicht weiß, wie ich ihn abbauen soll. Außerdem ging mir durch den Kopf, wie ich die Kinderbetreuung hinbekomme, war mir mein Mann aufgrund seines Jobs doch nur am Wochenende eine Hilfe.

Hatten Sie Unterstützung durch Vereine/Verbände/andere Institutionen (IHK etc.)?

Ich bekam sehr wertvolle Unterstützung durch die Unternehmensberaterin Frau Baumann. Durch sie und den Gründungskurs beschäftigte ich mich mit den grundlegendsten betriebswirtschaftlichen Dingen und fühlte mich mit der Zeit immer fitter.

Was ist das wichtigste, an dem Sie gerade arbeiten und wie soll es gelingen?

Momentan bemühe ich mich, das neue Kassensystem zu verstehen. Wir waren spät mit der Umrüstung, da es schwer war, einen IT-Spezialisten zu finden, ohne den ich das nicht schaffen würde. Nun wurde/wird alles um- und aufgerüstet und ich verbringe jede freie Minute im Büro. Wenn mir das ab und an zu theoretisch wird, dann baue ich spontan im Laden um. Mein letztes Projekt war ein neues Gemüseregal aus alten Paletten.

Thema Finanzierung: Welchen Quellen standen Ihnen bei der Übernahme zur Verfügung?

Dank der vielen Hinweise und Tipps von der Unternehmensberaterin bekam ich sowohl den Gründungszuschuss als auch eine Förderung vom LEADER Programm (Entwicklungsprogramm für den ländlichen Raum), welchen wir für den Umbau nutzten.

Gab es Momente nach der Gründung, in denen Unsicherheiten in Ihnen aufkamen?

Ja, die gab und gibt es immer mal wieder. Auch jetzt gerade durch die Corona-Situation. Manchmal frage ich mich: Warum mach ich das eigentlich alles? All die Auflagen, Bestimmungen und Verordnungen … so richtig eigenständig kann man doch nicht handeln.

Wenn Sie heute zurückblicken, was waren die Herausforderungen, die Sie vor oder während Ihrer Übernahme bewältigen mussten?

Herausforderungen waren zum einen der Umbau und zum anderen die Übernahme der Post und Lotto-Annahmestelle. Wir mussten sehr viel umbauen. Heizung und Kühlanlagen waren komplett veraltet bzw. teilweise nicht mehr funktionstüchtig. Das Hygieneamt hatte uns bereits diverse Auflagen mit Deadlines gegeben.
Einen Tag nach dem Tod meiner Schwiegermutter wollten die Verantwortlichen von Lotto die Annahmestelle schließen. Man benötigt eine Lizenz zum Führen einer solchen Stelle. Diese hatte meine Schwiegermutter, aber ich nicht. Ich habe alles gegeben, damit wir diese Stelle im Dorf behielten: hab ein großes Führungszeugnis eingereicht, einen Lehrgang absolviert und einen Bitt-Brief an Lotto MV in Rostock geschrieben. Darin habe ich sehr emotional dargelegt, wie schlimm es für das Dorf und die Bewohner wäre, diese Möglichkeit nicht mehr zu haben. Für all diese Auflagen gab man mir sechs Wochen. Ich habe es geschafft.
Auch die Übernahme der Poststelle war kein leichtes Unterfangen. Sie wollten alles umstellen und ich sollte eine Rücklage von 5.000 Euro auf ein Konto überweisen. Das konnte ich nicht. Und das wollte ich nicht. Mein Gegenvorschlag war, ein Sparkonto mit 500 Euro anzulegen. Plötzlich ging es dann doch.

Worauf sind Sie im Rückblick besonders stolz, was waren Ihre größten Erfolge?

Ich bin stolz auf mich, wie ich das oben erwähnte alles gewuppt habe. Dass ich mutig gegen vieles und viele gegengehalten und mir nicht alles gefallen lassen habe. Als einen Erfolg sehe ich unsere Eröffnungsfeier des Cafés, das ebenfalls zum Geschäft gehört, im September 2018. Aus einem alten nassen Raum haben wir einen gemütlichen Café-Bereich errichtet. Ich finde es wichtig, dass wir uns selbst und unsere Erfolge feiern.

Wie haben Sie die Herausforderungen (wenn es denn welche gab) gemeistert?

Ich bin ein Sturkopf und eine Kämpfernatur und immer optimistisch. Aber ohne die großartige Unterstützung von Freunden und Menschen aus dem Ort, wäre ich heute nicht da, wo ich bin. So viele von ihnen haben ihre Wochenenden geopfert und mir beim Wände einreißen und wieder hochziehen, beim Umbau und Einrichten geholfen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Sie sind jetzt Ihre eigene Chefin. Käme ein Dasein als Angestellte überhaupt noch in Frage?

Ja, ich könnte mir vorstellen, wieder als Angestellte tätig zu sein. Dann im Service-Bereich, in dem ich vor der Ladenübernahme tätig war.

Was sind ihre Ziele als Unternehmerin?

Ich möchte schuldenfrei und abgesichert sein. Ich möchte einfach nur arbeiten, mein tägliches Tun im Geschäft genießen und nicht immer wieder vor Problemen stehen, das Ruder mal fix wieder rumreißen müssen.
Die meisten Umbauarbeiten sind erledigt, offen ist noch die Trockenlegung des Hauses an sich. Doch das ist wieder ein anderes größeres Thema… Für das Café würde ich gern noch einen Außenbereich gestalten, ein Sonnensegel anbringen, solche Dinge.

Welche Tipps würden Sie Menschen geben, die sich mit dem Gedanken beschäftigen, ein Unternehmen zu gründen?

Augen zu und durch. Man braucht Mut und sollte nicht gleich aufgeben. Heute ist es sicherlich schwieriger, sich selbstständig zu machen. Wiederum gibt es heute so viel Unterstützung und hilfreiche Tools. Wenn ich dran denke, dass meine Schwiegermutter damals alle Bestellungen, alle Rechnungen und Aufträge mit der Hand geschrieben hat was für ein Aufwand. Dafür haben wir heute mehr Auflagen und Bürokratie. Wer mit Leidenschaft in sein Business geht, sich mit allen anfallenden Themen auseinandersetzt und sein Ziel geradlinig verfolgt, der wird es schaffen.

Angenommen, Sie stünden jetzt vor der Gründung, würden Sie nochmal den gleichen Weg einschlagen?

Nein, ich würde nicht denselben Weg gehen. Das klingt vielleicht, als wenn ich es bereuen würde, aber es sind immer nur Momente, die man bereut; nicht die Sache an sich. Ich habe das Geschäft nur meiner Schwiegermutter zuliebe übernommen, ihr Blick war so bittend, dem konnte ich mich nicht widersetzen.

Welche Charaktereigenschaften sind ein absolutes Muss, um sich als selbständige Unternehmerin behaupten zu können?

Mut. Kaltschnäuzigkeit. Kraft – körperliche und geistige. Leidenschaft. Ich erinnere mich gut an die Zeit, als die vielen ICH AGs entstanden. Das war aus der Not heraus, ohne Leidenschaft. Nur des Geldes wegen oder keinen Chef haben zu wollen, das reicht bei Weitem nicht aus, um ein erfolgreiches Business zu gründen und zu führen.

Wie finden Sie neue Kunden?

Die Kunden kommen sehr viel durch Mundpropaganda. Ich spreche Leute aber auch direkt an, komme schnell mit ihnen ins Gespräch. Zum Beispiel erzähle ich Bauarbeitern im Ort, dass sie sich bei mir aufwärmen können, dass mittwochs Burger-Tag ist und ähnliches. Ich verteile Flyer, bin bei Facebook aktiv und biete einen Bringservice an, wenn ältere Dorfbewohner wegen Glatteis z.B. nicht ins Geschäft kommen können. Dabei erfahre ich so viel Menschlichkeit, Güte und Dankbarkeit. Das alles wiegt weit mehr als der Kontostand.

Regionen mit Ressourcen

Projektträger:
Unternehmensberatung
Carmen Baumann
Projektzeitraum:
1.August 2019 bis 30.April 2021

In dem vom Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten Projekt wurden Möglichkeiten entwickelt, wie in der ländlichen Region des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte mehr erwerbsfähige Menschen erwerbstätig werden können,


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